Dienstag, 14. November 2023

Züge mit Vorfahrt

Das Deutschland-Ticket ist da! Ein schöner Tag Anfang Mai. Auf geht`s zu einem Tagesausflug ins Mittelrheintal, ins Unesco-Weltkulturerbe mit Burgen und Loreley! Der klimatisierte Regio gleitet über die Schiene fast wie ein ICE. Viele Rentner mit Tagesrucksäcken sind unterwegs. Mein Gegenüber lobt das 49 Euro-Ticket. Im Gespräch habe ich nicht auf die Ansage gehört und erschrecke, als ich den Stationsnamen St. Goar lese. Hier ist doch die Loreley!

Schnell den Rucksack auf und raus! Kaum habe ich den Bahnsteig betreten, merke ich, dass mein geliebter Wander-Filzhut noch im Zug im Gepäcknetz liegt. Geistesgegenwärtig springe ich zurück zur Tür, schnell rein, den Hut geschnappt, dann wieder zur Tür. Die geht leider gerade automatisch zu. Ich drück den grünen Taster, die Tür öffnet sich. Ich raus auf den Bahnsteig. – Geschafft!

Da schallt es durch einen blechern klingenden Lautsprecher: „Sie da, können Sie nicht früher gucken, ob Sie in den richtigen Zug einsteigen? Sie haben die Abfahrt des Zuges verspätet! Als ob wir nicht schon genug Verspätung hätten.!“ Ich habe das Gefühl, als würden mich alle Passagiere vorwurfsvoll anblicken und bin froh, dass der Zug losfährt. Aber das Schimpfen des Zugführers ist mir immer noch im Ohr. So ist es also. Wir armen Reisenden sind die eigentlich Schuldigen an den zahlreichen Verspätungen!

Und meine Strafe folgt kurz danach. Rückfahrt St. Goar. Lautsprecherdurchsage „Die Regionalbahn Abfahrt 15 Uhr heute mit 20 Minuten Verspätung.“ Etwa 8 Passagiere auf dem Bahnsteig richten sich kummergewohnt auf das Warten ein. Alle gucken in ihre Handys. Ein Rentner mit Bürstenhaarschnitt und in Jeans guckt besonders angestrengt und fragend in sein Handy. Er wird offenbar mehrmals angerufen. Das Klingelzeichen ist die Melodie aus dem Film „Spiel mir das Lied vom Tod“. Jedes Mal antwortet er „Keine besonderen Vorkommnisse.“, kriegt aber keine Verbindung. Das passt zu unserer Wartesituation, denke ich und beobachte, wie er mit seinen breiten Fingern wie mit Bärentatzen an mehreren Stellen auf das Handy drückt. „Junge, du musst wischen!“, möchte ich ihm zurufen. Er ist offenbar in der modernen Smartphone-Bedienung noch nicht angekommen. Als es mit der Verbindung endlich geklappt hat, schallt eine Frauenstimme aus seinem laut gestellten Phone: „Warum nimmst du das Gespräch denn nicht an?!
Der Bahnhofslautsprecher meldet sich erneut und wiederholt die Durchsage: „Heute mit 20 Minuten Verspätung.“ – „Und warum?“, möchtest du wissen und fragst dich etwas bang: Ob zu viele Fahrgäste den Wanderhut vergessen haben? O
 der: „Pe rsonen auf der Fahrbahn“ oder „Der Zugführer ist beim Personalwechsel nicht erschienen?“ Nein, heute heißt es: „Grund für die Verspätung ist die Vorfahrt eines Zuges.“ Na, das ist doch mal ein guter deutscher Grund. Da hat jemand Vorfahrt. Und wer Vorfahrt hat, ist im Recht. Da gibt es nichts mehr zu meckern. Züge mit Vorfahrt. Das muss sein. Vielleicht ein Munitionstransport. Mit Vorfahrt eben.

Der Pulverkopp 

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