Samstag, 30. Dezember 2023

Silvester randvoll

Randvoll schon die Tage vor Silvester. Der Rhein schwappt über. Hochwassergefahr, meldet der Wetterdienst.

In Niederdollendorf liegt die Autofähre schon still. Wir wandern auf dem Uferweg bis Königswinter. Überall Treibholz. Der reißende Strom riecht schlammig.

Wir biegen ab zur Innenstadt. Auf dem Weg ist eine Keramikplatte eingelassen: Eine Familienszene mit spielenden Kindern und die Worte: „Mir sin all jot drop.“

Aber der Rheinländer ist nicht nur gut drauf, er kann es auch philosophisch. An einem Haus in der Fußgängerzone lesen wir:

Unaufhaltsam rinnt die Zeit

in das Meer der Ewigkeit.


Und weiter geht es mit der Zeitphilosophie.

Im Schaufenster der Uhrmacherin gegenüber liegt ein Gedicht zum Jahreswechsel:


"Silvester


In dem großen Rad der Zeit ist es wieder mal so weit, und nach fast vollzog'ner Runde

naht des Jahres letzte Stunde. (…)


Immer weiter rückt der Zeiger;

Und manch Schwätzer wird zum Schweiger, 

wenn das alte Jahr verweht, - 

und die Uhr wird Majestät!


Alles scheinet plötzlich nichtig,

was gewaltig war und wichtig, 

schweigend harrt man und erregt, 

bis es endlich zwölfmal schlägt.


Jetzt der Fachmann triumphiert, 

weil sein Element regiert, 

lächelnd sagt er: Ja, mein Bester, 

ohne Uhr gibt's kein Silvester!" 

(Henri Sternberg)


Der Pulverkopp wünscht euch einen guten Start ins neue Jahr, randvoll mit Glück. Prosit!



Donnerstag, 14. Dezember 2023

Mein Christkindchenwiegen

Meine Weihnachtsgeschichte: Das Christkindchenwiegen

English  

Unsere Kindheitserinnerungen haben schöne Bilder von Weihnachten, weil wir halb unbewusst auswählen und dabei weglassen oder auch Passendes hinzufügen. Deshalb werden die Geschichten in unserer Erinnerung so schön, nicht immer genau in den Fakten, aber sie enthalten Wahrheit, weil wir es selbst sind.  Wir selbst erzählen und wir selbst erinnern uns an das Wahre.


In meiner Heimatstadt Korbach in Nordhessen - eine Kreisstadt mit 24 000 Einwohnern - haben wir zwei schöne gotische Kirchen aus dem 15. Jahrhundert.


Die größte der beiden ist die Kilianskirche in der Altstadt. Von meinem Elternhaus aus konnten wir den etwa 750 Meter entfernten Kirchturm immer sehen.  Es ist ein mächtig wirkender Turm, der doch eigentlich in der Höhe spitz zulaufen müsste.  Nach seiner Errichtung im Spätmittelalter zählte er mit knapp 100 Metern zu den 15 höchsten Kirchtürmen der Welt.  Aber der Turm wurde vor 300 Jahren infolge von Blitzeinschlägen zerstört.  Wiederaufgebaut, erhielt er eine typisch barocke Kappe.  Dadurch wirkt er bis heute so mächtig. 


Das Besondere ist ein Umgang draußen unterhalb der Barockhaube, von wo man eine großartige Sicht auf die ganze Stadt hat.  Dieser Umgang ist für meine Geschichte wichtig.

 

Für uns Kinder aber hatte damals eine andere Besonderheit Sinn.  Unter den zahlreichen Steinfiguren, die das Kirchengebäude von außen schmücken und auf biblische Themen hinweisen, befinden sich zwei Figuren am Ende des Daches, wo man normalerweise grässliche Wasserspeier findet.  Es sind an unserer Kirche das Lachemännchen und das Heulemännchen, die da unter der Dachrinne hocken.  


Das Heulemännchen wurde in der Bauphase der Kirche angebracht, als den Bürgern das Geld für den Weiterbau ausgegangen war.  Das Lachemännchen kam hinzu, als der Geldmangel vorüber war und der Bau vollendet werden konnte. 


Heulen, das heißt Weinen, und Lachen sind bei Kindern oft dicht beieinander. Das kannten wir, das war realistisch, das fanden wir gut. 

Und das Lachmännchen hat Geld, das fanden wir am besten.


Nun will ich aber endlich zu meiner weihnachtlichen Geschichte kommen.


Es war an einem Heiligabend Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als meine Eltern mit uns drei Kindern zu Fuß den Weg zur Kirche gingen.  Es hatte geschneit, kaum ein Auto unterwegs, die Geräusche der Stadt waren gedämpft. Das Geläute der Kirchenglocken gab unserem 15-minütigem Fußweg etwas Festliches. In zahlreichen Häusern sah man Kerzenlichter in den Fenstern, aufgestellt zur Erinnerung, dass Deutschland dreigeteilt war und viele Familien nicht zusammenkommen konnten.


Nach dem Gottesdienst erlebten wir die schönste Weihnachtsstimmung.  Es hatte aufgehört zu schneien und ein dicker weißer Teppich aus Schnee war über die Stadt gebreitet.  Und vom Turm herab erscholl der Choral „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“.

Es war der alte Brauch des Christkindwiegens, den wir erlebten und der jedes Jahr auf dem Turm der Kilianskirche stattfindet.


In seinem Text zur Stadtgeschichte schreibt der Stadthistoriker Osterhold:

„Eine Legende besagt, dass früher in Korbach eine schreckliche Seuche herrschte, an der viele Korbacher starben. Da das Hospital längst überfüllt war, wurden Kranke auch in der Kilianskirche untergebracht. An einen Gottesdienst, gar ein Weihnachtsfest, war bei all den Kranken und Siechen nicht zu denken. (…) Ein junger Korbacher hatte eine Eingebung. Wenn sie schon die Weihnachtsmesse nicht in der Kirche abhalten konnten, so könnten sie doch das Christkind einfach auf dem Turm ehren. So bestiegen am Weihnachtsabend junge Burschen und Männer mit Laternen und Fackeln den Turm, schwangen diese auf und nieder, wie eine Wiege und priesen mit ihrem Gesang Gott.“


Und meine Geschichte, wie geht sie zu Ende?  Das ist schnell erzählt.  


Wir stapften durch den Schnee nach Hause und freuten uns auf die Bescherung unter dem Weihnachtsbaum. 


Was für Geschenke wir damals bekamen, lasse ich offen.


Ich denke, jeder erinnert sich gerne an das Weihnachten seiner eigenen Kindertage und daran, welches Geschenk das Schönste war.


Nun wünsche ich uns allen, dass beim Einkaufen der Geschenke das Geld nicht knapp wird und das Lachemännchen aus meiner Geschichte die Oberhand behält. Ich wünsche eine gute vorweihnachtliche Zeit.


Der Pulverkopp